sebastian bathe

l’viv, ukraine, 2018

Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradies her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zu Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.

Walter Benjamin – Über den Begriff der Geschichte / IX

Wenn ich, dort oben, auf der Fotografie lache, ob all, oder gerade wegen, der Schwere des Lebens. So bin ich nun am weinen, ob der Ohnmacht vor diesem Krieg, der auf dieser, unserer Welt weilt, wütet, tötet und foltert. Syrien, der nahe Osten, die Ohnmacht um Afghanistan und nun eben die Ukraine – und ja, leider noch viele und immer mehr. Gerade noch in Moria dachte ich darüber nach, mit dem Segel des “Floß der Medusa”, in die Landschaften der Ostukraine zu reisen. Auf dem Boden der Gräuel von Babyn Jar wollte die Arbeit im kommenden Jahr eine Auseinandersetzung wagen. Damals, Genozid im September 1941 – unbegreiflich, aber schmerzhafte Wirklichkeit. Jetzt wird Kiew wieder beschoßen. Was helfen da meine Tränen, wenn Menschen so handeln können oder die Gefangenen dieser Handlungen sein müssen – So wirft uns der Sturm immer weiter Trümmer vor die Füße und diese Geschichte scheint ewig wiederholt, anstatt das wir aus ihr lernen würden. Mythos des Sisyphos, erstickte Wut und Tränen der Ohnmacht

25. Februar 2022

linger on – Essaybearbeitung des Fotozyklus 2020

staub – linger on